Kolumba
Kolumbastraße 4
D-50667 Köln
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»Kann man heute freies Denken überhaupt noch voraussetzen? Geistiges Erörtern basiert immer stärker auf konkreten Zwecken, verlagert sich hin zur raschen Abrufbarkeit von Wissen im Rechner. Als wesentliches Element gehört das Lesen zum Denken. Bücher als Medien der Langsamkeit sind auf dem Rückmarsch, so dass das Nachlesen, Wiederholen und Nachsinnen einem flüchtigen Informationssurfen gewichen sind. Nun stemmt sich Kolumba, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln, gegen diesen Trend. Aufregende, aber gehaltlose Stars, marktschreierische Sensationen, durchschlagende Blockbuster-Ausstellungen und oberflächliche Events – all das findet im Museum der Nachdenklichkeit keinen Platz. Im dem etwas anderen Ausstellungshaus entführt in den nächsten zwölf Monaten eine denkwürdige Werksauswahl in eine befruchtende und erhellende Atmosphäre unter dem Vorstoß, Denken zu provozieren. „denken“ – was für ein einfaches, klein geschriebenes Wort. Es formuliert, was zum Erfassen substanzieller Aspekte unerlässlich bleibt. Gleich zu Anfang im Foyer wird man darauf gestoßen. Auf einen pyramidalen Sockel aus geschichtetem Moselschiefer hat der Bildhauer Josef Wolf einen archaisch anmutenden Weiberner Tuffstein so platziert, dass er immer wieder neue Ansichten freigibt. Die Arbeit eines Steinbildhauers beginnt mit dem Sehen und Erkennen von Materialeigenschaften, bevor er mit den Händen „weiterdenkt“. Nach diesem schweren, massiven Auftakt in direkter Korrespondenz zur Ausgrabungszone mit den steinernen Überresten aus 2000 Jahren begleiten den Weg nach oben fünf Fotografien Bernhard Blumes unter dem Titel „Die reine Vernunft ist als reine Vernunft ungenießbar“. Die rational nicht begreifbare Arbeit zeigt eine Person, die einen kleinen weißen Quader verzehren möchte. Was muss geschehen, um ihn genießbar zu machen? Liebe, Muße und vor allem Kontemplation sind als Voraussetzungen für das Denken unerlässlich. Im ersten Obergeschoss angekommen, lässt ein Video von Monika Bartholomé am Prozess des Zeichnens teilhaben, am Wechselspiel zwischen Denken und den Bewegungen der Hand. Den Inhalt der vier Evangelien bringt dann ein seltenes Exemplar aus der Frühzeit des Buchdrucks näher. Bei dem Blockbuch „Ars memorandi notabilis per figuras evangelistarum / Die Kunst des Erinnerns“ fällt Piktrogrammen auf den dicht mit ganzseitigen Holzschnitten gefüllten Blättern die Funktion zu, Evangelien in Erinnerung zu rufen. Weltweit existieren von dem um 1470 in Nürnberg gedruckten Buch nur noch in zwei Exemplare. Vorbei an Zeichnungen von Rune Mields aus der Werkreihe „Steinzeitgeometrie“ kommt der Besucher dann vor einem Schmuckfußboden von 1220/30 aus der Pfarrkirche St. Pankratius in Oberpleis bei Königswinter zu stehen. Die farblich variierenden Tonplatten zeigen einen Kosmos, der auf antikes Denken zurückzuführen ist. Die Künstler verstanden es vor Jahrhunderten schon, hochästhetisch in simplen, formal reduzierten Schemata aus Kreisformen das Weltbild aus Mensch, Zeit und Universum griffig zu erschließen. Himmelsrichtungen, Elemente und Jahreszeiten kreisen um eine imaginäre Mitte, die der katalanische Maler Antoni Tàpies im Rahmen einer künstlerischen Sinnsuche des Jahres 1965 in der Form kreisender Fußspuren zu markieren versucht. Die „Spuren auf weißem Grund“, so der Bildtitel, nähern sich diesem Zentrum, treffen es aber nie, da es ihm offenbar nicht darstellbar erscheint. Ein immer wieder anmutsvolles Erlebnis entfachen die in Spots des völlig abgedunkelten Armariums stehenden liturgischen Gegenstände aus dem Kirchenschatz von St. Kolumba. Wie Kleinarchitekturen anmutende, filigran überlade, gotische Turmmonstranzen, Reliquiare und Vortragekreuze füllen die Vitrinen, nunmehr ergänzt durch eine Videoinstallation von Lutz Fritsch. Sie entführt in einen grün gestrichenen, mitten in der Eintönigkeit, Leere und Abgeschiedenheit der antarktischen Eiswüste verpflanzten Container. Die hier untergebrachte „Bibliothek im Eis“ setzt mit ihren poetischen und wissenschaftlichen Überlieferungen einen Kontrapunkt zum monotonen, lebensbedrohlichen Vakuum der Umgebung. Gerade die Bücher spielen in der neuen Zusammenstellung der Exponate eine wichtige Rolle. Sie schaffen vieles, was andere Medien nicht leisten können. 954 Künstlerbücher trugen in den letzten 40 Jahren der Kölner Grafiker Steffen Missmahl und seine Frau Edith zusammen, eine grandiose Zusammenstellung von Artefakten, die auf nichts verweisen, nichts dokumentieren, sondern autonome Werke sind und das Denken auf besondere Weise erlebbar gestalten. 101 Exemplare aus der Kollektion, die das Sammlerpaar Kolumba vermacht hat, gestatten einen verdichteten Gang durch eine Epoche, deren Facettenreichtum von Carl Andre, Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Daniel Buren, James Lee Byars, John Cage und Hans-Peter Feldmann bis zu Richard Tuttle, Wolf Vostell, Franz Erhard Walther, Andy Warhol, Lawrence Weiner und Beat Zoderer reicht. Im obersten Geschoss empfängt die um 1650 von Jeremias Geisselbrunn geschaffene Alabasterfigur der Muttergottes mit Kind den Besucher. Dies geschieht vor dem Hintergrund von Birgit Antonis großformatigen Acrylmalereien auditiver Reihungen, die Bildräume von hoher Dynamik als Ausschnitte abstrakter Volumina suggerieren und in ihren Wirbeln Elemente der vorgestellten barocken Plastik aufnehmen. 45 Schreibmaschinen aus rund 100 Jahren deuten, verschiedenartig auf einem geschwungen zugeschnittenen Unterbau angeordnet, neben der Wandlung von Technik und Design auch die Eigendynamik bürokratischer Auswüchse an. Die erbarmungslose, überdrehte Macht kalter Maschinenwelten umkreist auch das aus dem Jahr 1959 stammende Ölgemälde „Der Wille zur Macht“ von Konrad Klapheck, das eines der voran im Original ausgestellten Modelle interpretiert. Im zentralen Mittelsaal bietet sich dann ein grandioser Auftritt seines 2005 verstorbenen Düsseldorfer Akademiekollegen Dieter Krieg. Großformatig mit weit ausholenden, wilden Gesten stellt der Maler 1998 fest: „In der Leere ist ist nichts“. Kombiniert mit Acrylglas auf Leinwand akzentuieren türkisfarben abgetönte, leere Gläser den Hintergrund von den krakelig aufgetragenen schwarzen Buchstaben des Bildtitels. Sowohl die teils über die Bildformate hinausgeführten Scheiben, die wirren Linien als auch die Spiegelungen der Arbeiten in Decke und Boden lassen den Betrachter zwischen der Realität des Raumes und der des Bildes pendeln. Grammatische Fragwürdigkeiten, Worttrennungen, Undeutlichkeiten verhindern schnelles Lesen und Begreifen. So setzt unweigerlich das Denken über die fallenden Gläser und realen Glasfragmente ein, über Schönes und Unschönes, über Unfügsames und Gestaltetes. Was ist nichts? Was ist Leere? Dieses Spektrum an Fragen überführt von dem wie für den Raum geschaffenen Zyklus in die drei umliegenden Turmsäle. Vorbei an der in situ fest verorteten „Bürgerlichen Tragödie“ von Jannis Kounellis, der kontemplatives Denken zugrunde liegt, läuft man direkt auf Rune Mields Bild „Blau“ aus dem Zyklus „Über die Farbe“ zu. Auf blauem Hintergrund hat sie 249 Arten von Blautönen gelistet. Für den Raum einer privaten Andacht über die Vergänglichkeit, über Leben und Tod steuert Krimhild Becker eine Installation aus menschlichen und animalischen Artefakten bei. Den Ostturm möchten die Kuratoren diesmal als poetischen Hinweis auf die Welt der Phantasie und auf die künstlerische Fähigkeit, dem Unvorstellbaren Raum zu geben, gestaltet wissen. Ein imposant aufbäumendes Gebilde aus Schichtholzplatten, Zedernhölzern, Stahlstangen und eisernen Trägerplatten kombinierte Victoria Bell zu einer „Fliegenden Lokomotive“. Flugzeuge und Lokomotiven verwachsen zu einen Dickicht, eine Warnung vor der Hybris des Machbaren, ein Appell zur Bewahrung der Schöpfung und zum Ausgleich. Die organischen Formen der zwischen Vorstellung und Wirklichkeit oszillierenden Arbeit finden sich auch in Konrad Klaphecks Gemälde „Kleines Liebesglück“. Den wuchshaften Sujets des 1959 entstandenen Ölbildes in dunkel abgetönten Farben liegen Fahrradklingeln zugrunde. Der Parcours zum höchsten Turm des Museums führt an von Zartheit und Sensibilität nur so sprühenden aquarellierten Bleistiftzeichnungen zu Kolumba des Architekten Peter Zumthor vorbei. Vor dem berühmten, 1449 in Nürnberg geschaffenen Heilig-Geist-Retabel, dessen Mittelbild die Versammlung der Apostel mit der Muttergottes in ihrer Mitte zu Pfingsten darstellt, findet sich nun die Ton-Raum-Skulptur von Bernhard Leitner. Sie bietet über Klänge ein Erlebnis, dem ebenfalls mit Worten nicht beizukommen ist. Hier am höchsten Punkt des Hauses gibt sich die sinnliche Ausstellung ins Extreme gesteigert, bedingt durch die auf Augenhöhe arrangierten Begegnungen zeit- und medienübergreifender Exponate. Dabei muss man nicht alles definitiv auslegen können. Denn einer, der alles erklären kann, erklärt selbst nichts. Die Ausstellung „denken“ ist bis zum 31. August 2012 zu besichtigen. Kolumba, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln, hat täglich außer dienstags von 12 bis 17 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Zur Ausstellung sind zwei Kataloge erschienen. Der umgangreiche Katalog „denken“ zu den Künstlerbüchern der Sammlung Missmahl kostet an der Museumskasse 35 Euro, zum Blockbuch „Ars memorandi“ 16 Euro.« (Hans Peter Schwanke, Denken im Museum der Nachdenklichkeit, www.kunstmarkt.com, 14.10.2011)

»Auf welch eindringliche Weise Geschehnisse künstlerisch umkreist werden können, demonstriert Herbert Falken in seinem frühen, auf der Documenta VI ausgestellten Werkzyklus „Krankenbilder“. Den sogenannten „guten Geschmack“ verlassend, konfrontiert er den Betrachter schonungslos mit jämmerlichen Kranken, deren Individualität sich in wirren, die seelenlose Behandlungsmaschinerie der modernen Medizin versinnbildlichenden Zeichenstrichen auflöst. Drei Ölgemälde des Spaniers Antonio Saura oszillieren zwischen Abstraktion und menschlicher Figur in heftig expressivem, gespenstisch anmutendem Duktus. Danach betritt man das vollkommen abgedunkelte Armarium als architektonisch-geistige Zelle des Museums. Hier über der Kapelle „Maria in den Trümmern“ sind dauerhaft Hauptwerke des bedeutenden mittelalterlichen Kirchenschatzes von Kolumba ausgestellt. Neben einem Kruzifixus aus den großherzoglichen Werkstätten der Medici aus dem 17. Jahrhundert, dessen Elfenbeinkorpus Balthasar Permoser schuf, verdient besonders der vom „Kölner Progressiven“ Franz Wilhelm Seiwert um 1920 gebrannte Tonkopf Beachtung. „Großer Kopf mit offenem Mund“, so der Titel der expressionistischen Skulptur, illustriert einen selten so eindringlich zum Ausdruck gebrachten stummen Schrei des Entsetzens. James Lee Byars, der Meister des Ephemeren, der am 25. Oktober 1996 in einem goldflirrenden Gewand vor dem Hauptportal des Kölner Domes erschien, bereichert das Ensemble im Armarium mit Fotografien und einem Künstlerbuch. Die Terrakotta „Sitzende mit weißem Rock“ der in Köln lebenden Leiko Ikemura umkreist wie auch im weiteren Verlauf noch von ihr anzutreffende Zeichnungen und Skulpturen die Verletzlichkeit des Individuums in scheinbar unvereinbaren Gefügen menschlichen Miteinanders. Ein Feld hochrechteckiger Vitrinen vor dem Ruheraum des Lesezimmers lädt zu Begegnungen mit kunstgewerblichen Zier- und Zeremoniengegenständen ein, darunter einem wundervollen Ensemble silberner Reliquienmonstranzen des 14. und 17. Jahrhunderts. Vorbei an einem archaisch anmutenden Relief von Hans Josephsohn führt der Parcours genau zwischen die Wände einer Klanginstallation von Bernhard Leitner. Erst hier nimmt man die Geräusche der „Pulsierenden Stille“ des äußerlich stummen, minimalistischen Gestells aus dem Jahr 2007 wahr. Im rückwärtigen Winkel der oberen Ausstellungsplattform behauptet eines der Hauptwerke weiterhin seinen angestammten Platz, das monumentale Marienbild „Madonna mit dem Veilchen“ von Stefan Lochner. Zu Füßen der Muttergottes im Paradiesgarten kniet die Auftraggeberin Elisabeth von Reichenstein, Äbtissin des Kölner Cäcilienstifts. Dieses kurz vor 1450 entstandene Prunkstück der 1853 etablierten Museumskollektion hängt neben einem raumhohen „Broschenfenster“, das den direkten Bezug zum gotischen Dombau ermöglicht. Auch Jannis Kounellis „Tragedia civile“, eine blattvergoldete Wand mit Garderobenständer, Hut, Mantel und Öllampe ist im Nordkabinett in situ verblieben. Davor liegt nun der erstmals ausgestellte „Fishman“ des Amerikaners Paul Thek, dessen Œuvre ein Sammlungsschwerpunkt von Kolumba ist. Besonders diese Skulptur verdeutlicht das transitorische Verständnis von Theks politisch, sozial und religiös motivierter Kunst. Nebenan im Nordturm gruppiert sich nun die raumgreifende „Wunderkammer“ von Krimhild Becker. Über viele Jahre hinweg fügte die Bonner Künstlerin Dinge aus aller Welt zu einem Ensemble zusammen. Objekte aus unterschiedlichen Kulturen, Natur und Kunst, Ernstes und Heiteres, Kitsch und Hochwertiges zeigen sich vereint, umspielen variantenreich Leben und Tod. Es ist ein skurriler Raum der Phantasie, angelegt ähnlich einem Landschaftsgarten mit einem scheinbar disparatern Sammelsurium, geformt zu einem ästhetischen Miteinander. Im Ostkabinett beeindrucken große, rot getönte Fotografien Jürgen Klaukes durch ihre unmittelbare Präsenz. „Der Bildhauerberg“ von Heinz Breloh gegenüber vereint über 150 kleine, glasierte Terrakotten, womit er quasi die Körper- in eine Lichtskulptur auflöst und somit formal entgrenzt. Im Ostturm nebenan hängt ideal disponiert gegenüber dem hoch angesetzten Fenster eine stille Arbeit von Joseph Marioni, „Painting (Triptych)“ aus dem Jahr 1995. Das Werk aus Acryl auf Leinen entfaltet je nach Lichteinfall, Tages- und Jahreszeit völlig divergente Schemen, konfrontiert gegenüber mit einem um 1480 auf Holz gemalten Schmerzensmann. Dann bleibt noch das schmale Südkabinett. Erstmals sind hier Gewand-, Hand- und Aktstudien einiger Nazarener der zweiten Generation aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestellt, die ihre Ausbildung bei Wilhelm von Schadow an der Düsseldorfer Kunstakademie erhielten. Die Studien zu Gemälden und Wandgestaltungen stammen von Ernst Deger, Franz Ittenbach sowie die Brüder Carl Müller und Andreas Müller. An der Grenze zum abschließenden Südturm stimmt aus dem Kirchenschatz von Kolumba eine um 1500 geschaffene gotische Turmmonstranz auf den Heilig-Geist-Altar ein. Vor dem kraftvoll leitenden, jedoch niemals beherrschenden Hintergrund der neutralen Architektur offenbart ein mediales wie zeitliches Gemenge verschiedenster Kunstwerke zahlreiche zum Teil verblüffende Schnittstellen. Viele Facetten ansprechend, bietet Kolumba ein Angebot zum Innehalten, Nachdenken und Reflektieren über aktuelle Aspekte der Kunst, der Religion und des gesellschaftlichen Miteinanders. Konzentriert, an keiner Stelle ausufernd, wird allen, die sich auf die hochrangigen Artefakte einlassen, ein erhellendes Kunsterlebnis abseits jedweder effekthascherischer Pirouetten zuteil. Die neue Ausstellung in Kolumba markiert einen Ort der Freiheit von Vorstellungen, des ungezwungenen Gesprächs, der heilsamen Macht der Schöpfung. Hier erwartet man uns längst.« (Hans-Peter Schwanke, Auf Abstand bedachte Begegnungen, in: www.kunstmarkt.com, 19.10.2010)

»Museen sind Zeugen der Geschichte. Dreieinhalbtausend Jahre lassen sich anhand von Funden vor Ort zurückverfolgen, an dem Kolumba steht. Der aus archäologischen Grabungen samt Ruinen emporwachsende Museumsbau der Kölner Erzdiözese stellt ein einzigartiges Erbe der Kulturgeschichte dar. So fiel es dem Museumsteam in Köln leicht, für die dritte Jahresausstellung die griffige Überschrift 'Hinterlassenschaft' zu finden. … Kolumba ist keine schrill dröhnende Museumsmaschine. Das Institut setzt hochklassige Akzente in der ihm eigenen Weise. Hier bieten sich dem einfühlsamen Kunstinteressierten poetische Räume der Reflexion vor dem Hintergrund der passenden minimalistischen Architektur Peter Zumthors. Jahr für Jahr inszeniert es in immer neuen Konstellationen epochenübergreifende Kunsterfahrungen und einprägsame Diskurse abseits effekthascherischer Aktivitäten. Dafür sei Kolumba gedankt. Da Führungen nur außerhalb der regulären Öffnungszeiten stattfinden, werden Ruhe und Konzentration nicht gestört. Über 100.000 Besucher pro Jahr sind ein eindrucksvoller Beweis für dieses Konzept.« (Hans-Peter Schwanke,Was so alles zurückbleibt, kunstmarkt.com, 26.10.2009)

»Das Salz in der Suppe des Museumswesens sind viele nicht staatliche Ausstellungshäuser. Dem allgemein gültigen breiten Strom wissenschaftlich-populistischer Präsentationen entrückt, bieten die unabhängigen Institutionen andere, oft unkonventionelle Arten der Kunsterfahrung. Auch in Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln, mutet vieles eigentümlich an. Doch seit vor genau einem Jahr der neue, von Peter Zumthor entworfene Bau seine Tore öffnete, zollten dem Institut über 150.000 Besucher ihre Referenz, eine eindrucksvolle Zahl für ein kleineres Spezialmuseum, die keineswegs ausschließlich der eindrucksvollen minimalistischen Architektur geschuldet sein dürfte. Doch was ist hier anders? Zunächst einmal handelt es sich um ein Tageslichtmuseum, in dem gleißend helle, von wandgroßen Verglasungen gekennzeichnete Zonen mit introvertierten Schattenbereichen alternieren. Beschriftungen sucht man vergebens. Statt ihrer vermittelt ein kleines Heft die nötigen Informationen. Führungen gibt es ausschließlich außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Ohne Störungen soll sich der Besucher ganz den Sinnlichkeiten der Werke hingeben. Das dialogische Konzept scheint den Initiatoren Recht zu geben, wofür die überwiegend lange Verweildauer der Gäste vor den Exponaten Zeugnis ablegt. Die karge Architektur unterstützt die Konzentration; Stufen und Schwellen befördern umsichtiges Abschreiten der einzelnen Zonen. Werkkonstellationen sollen nicht konsumiert, sondern in Erinnerung behalten werden. Aufmerksamkeit erhaschende Ausstellungen sucht man hier vergebens. An ihrer Stelle tritt der alljährliche Hauptwechsel zum 14. September, dem Tag der Kreuzerhöhung. Kein Raum im Haus ist für ein bestimmtes Exponat geplant, so dass jedes Jahr während der Schließzeit in den ersten beiden Septemberwochen alles neu gestaltet werden kann. Dieses Mal wurden 90 Prozent der Werke ersetzt, allesamt aus eigenen Beständen. Maßgeblich für die neue Auswahl war der Titel „Der Mensch verlässt die Erde“. Er leitet sich ab von der Bezeichnung eines dreiteiligen Gemälde Felix Droeses. Das Kosmische, die Schöpfung, die Verantwortung des Menschen für den Umgang damit skizzieren den Spannungsbogen der zeit- wie gattungsübergreifenden Zusammenstellung von mittelalterlichen Stundenbüchern über Skulpturen, Gemälden, Zeichnungen, kunstgewerblichen Gegenständen, Installationen bis hin zu Videos. Zu den Höhepunkten zählt nun die raumgreifende installative Komposition einer „Kugelbahn“ des Kölner Künstlers Manos Tsangaris. Der Besucher wird aufgefordert, sich auf einen Holzstuhl im Zentrum zu setzen. Um ihn herum rollen auf einem Gewirr von diversen Bahnen drei Kugeln, deren teils von ihm gestarteten Rollbewegungen Klänge erzeugen, die zusammen ein Musikstück erzeugen. Der Hörer, Zuschauer, Performer wird selbst Teil eines Kunst und Klangkosmos. Marcel Odenbach entführt an anderer Stelle mit der zweiteiligen Videoarbeit „In stillen Teichen lauern Krokodile“ ins afrikanische Ruanda, wo jüngst in einem unfassbaren, dramatischen Genozid drei Viertel der Hutu-Volksgruppe ausgelöscht wurde. Dokumente aus dem UNO-Filmarchiv stellt Odenbach die paradiesische Schönheit des Landes, die archaische Lebens- und Arbeitssituation der Bevölkerung und das fragile Zusammenleben von Tätern und Opfern gegenüber – eine biblische Schönheit durchsickert von maßloser Gewalt. Sinniger Weise sind dieser Arbeit historische Radio- und Fernsehgeräte zur Seite gestellt, darunter ein „Volksempfänger“ aus dem Jahr 1933 sowie ein Kofferradio und ein Fernsehgerät aus der Zeit um 1970. Im obersten Geschoss wartet als weiterer Höhepunkt eine romanische Fußbodengestaltung der Kirche in Oberpleis. Mensch, Zeit, Welt und Kosmos werden in dem seit 1975 erstmals wieder ausgestellten Werk über kreisförmige Demonstrationsfiguren in Beziehung gesetzt. Darüber schwebt Paul Theks Materialassemblage „Fishman in Excelsis Table“ von 1970/71. Gleich nebenan umkreisen im hohen Ostturm Pappmachéfiguren eines Mobiles von Michael Kalmbach die Welt. Es stellt die Fortschreibung einer Raumsimulation dar, die Rebecca Horns aufsteigender Koffer an dieser Stelle zuvor beschrieb. Unten an den Wänden findet sich der Hinterglasgemäldezyklus „Smog“ von Werner Schriefers. Der ehemalige Direktor der Kölner Werkschule beschrieb schon 1969/71 seine Kritik an den ökologischen Zuständen in eigener Ästhetik, die hinter schwefeligen Grauschleiern aufkeimendes Leben verbirgt. Die konzentrierte Auswahl provoziert ein Nachdenken weit über die Zeit des Museumsbesuches hinaus; Räume bleiben stärker im Gedächtnis haften als bei überfüllten diffusen Menschenmassen. So fallen dem aufmerksamen Kunstfreund auch Beständigkeiten auf. Stefan Lochners vor 1450 geschaffene „Madonna mit dem Veilchen“ ziert ebenso nach wie vor den Kollektion wie Jannis Kounellis’ „Bürgerliche Tragödie“ aus einer Blattgoldwand, einem Garderobenständer mit Mantel, Hut und Öllampe, ferner Eduardo Chillidas bedruckte Filzstücke „Gravitaciónes“ oder die wunderbaren gotischen Reliquienkreuze aus dem Schatz des sächsischen Königshauses im Südturm. Erfreulich ist die wohltuende Lichtung des Kirchenschatzes von St. Kolumba im vollständig abgedunkelten Armarium, wo in gleißenden Spots getauchte gotische Turmmonstranzen die grandiose Überfülle an vergoldeten Details, Perlen und Edelsteinen und damit die ganze Pracht des mittelalterlichen Kunsthandwerks offenbaren. Lediglich in einem Durchgangsraum werden vierteljährlich wechselnde zeitgenössische Positionen unter dem Titel „…im Fenster“ vorgestellt. Den Anfang bestreitet der 1958 geborene Kölner Maler Heiner Binding.« (Hans-Peter Schwanke, Um die Welt kreisen, in: www.kunstmarkt com, 10.10.2008)

 
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»Kann man heute freies Denken überhaupt noch voraussetzen? Geistiges Erörtern basiert immer stärker auf konkreten Zwecken, verlagert sich hin zur raschen Abrufbarkeit von Wissen im Rechner. Als wesentliches Element gehört das Lesen zum Denken. Bücher als Medien der Langsamkeit sind auf dem Rückmarsch, so dass das Nachlesen, Wiederholen und Nachsinnen einem flüchtigen Informationssurfen gewichen sind. Nun stemmt sich Kolumba, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln, gegen diesen Trend. Aufregende, aber gehaltlose Stars, marktschreierische Sensationen, durchschlagende Blockbuster-Ausstellungen und oberflächliche Events – all das findet im Museum der Nachdenklichkeit keinen Platz. Im dem etwas anderen Ausstellungshaus entführt in den nächsten zwölf Monaten eine denkwürdige Werksauswahl in eine befruchtende und erhellende Atmosphäre unter dem Vorstoß, Denken zu provozieren. „denken“ – was für ein einfaches, klein geschriebenes Wort. Es formuliert, was zum Erfassen substanzieller Aspekte unerlässlich bleibt. Gleich zu Anfang im Foyer wird man darauf gestoßen. Auf einen pyramidalen Sockel aus geschichtetem Moselschiefer hat der Bildhauer Josef Wolf einen archaisch anmutenden Weiberner Tuffstein so platziert, dass er immer wieder neue Ansichten freigibt. Die Arbeit eines Steinbildhauers beginnt mit dem Sehen und Erkennen von Materialeigenschaften, bevor er mit den Händen „weiterdenkt“. Nach diesem schweren, massiven Auftakt in direkter Korrespondenz zur Ausgrabungszone mit den steinernen Überresten aus 2000 Jahren begleiten den Weg nach oben fünf Fotografien Bernhard Blumes unter dem Titel „Die reine Vernunft ist als reine Vernunft ungenießbar“. Die rational nicht begreifbare Arbeit zeigt eine Person, die einen kleinen weißen Quader verzehren möchte. Was muss geschehen, um ihn genießbar zu machen? Liebe, Muße und vor allem Kontemplation sind als Voraussetzungen für das Denken unerlässlich. Im ersten Obergeschoss angekommen, lässt ein Video von Monika Bartholomé am Prozess des Zeichnens teilhaben, am Wechselspiel zwischen Denken und den Bewegungen der Hand. Den Inhalt der vier Evangelien bringt dann ein seltenes Exemplar aus der Frühzeit des Buchdrucks näher. Bei dem Blockbuch „Ars memorandi notabilis per figuras evangelistarum / Die Kunst des Erinnerns“ fällt Piktrogrammen auf den dicht mit ganzseitigen Holzschnitten gefüllten Blättern die Funktion zu, Evangelien in Erinnerung zu rufen. Weltweit existieren von dem um 1470 in Nürnberg gedruckten Buch nur noch in zwei Exemplare. Vorbei an Zeichnungen von Rune Mields aus der Werkreihe „Steinzeitgeometrie“ kommt der Besucher dann vor einem Schmuckfußboden von 1220/30 aus der Pfarrkirche St. Pankratius in Oberpleis bei Königswinter zu stehen. Die farblich variierenden Tonplatten zeigen einen Kosmos, der auf antikes Denken zurückzuführen ist. Die Künstler verstanden es vor Jahrhunderten schon, hochästhetisch in simplen, formal reduzierten Schemata aus Kreisformen das Weltbild aus Mensch, Zeit und Universum griffig zu erschließen. Himmelsrichtungen, Elemente und Jahreszeiten kreisen um eine imaginäre Mitte, die der katalanische Maler Antoni Tàpies im Rahmen einer künstlerischen Sinnsuche des Jahres 1965 in der Form kreisender Fußspuren zu markieren versucht. Die „Spuren auf weißem Grund“, so der Bildtitel, nähern sich diesem Zentrum, treffen es aber nie, da es ihm offenbar nicht darstellbar erscheint. Ein immer wieder anmutsvolles Erlebnis entfachen die in Spots des völlig abgedunkelten Armariums stehenden liturgischen Gegenstände aus dem Kirchenschatz von St. Kolumba. Wie Kleinarchitekturen anmutende, filigran überlade, gotische Turmmonstranzen, Reliquiare und Vortragekreuze füllen die Vitrinen, nunmehr ergänzt durch eine Videoinstallation von Lutz Fritsch. Sie entführt in einen grün gestrichenen, mitten in der Eintönigkeit, Leere und Abgeschiedenheit der antarktischen Eiswüste verpflanzten Container. Die hier untergebrachte „Bibliothek im Eis“ setzt mit ihren poetischen und wissenschaftlichen Überlieferungen einen Kontrapunkt zum monotonen, lebensbedrohlichen Vakuum der Umgebung. Gerade die Bücher spielen in der neuen Zusammenstellung der Exponate eine wichtige Rolle. Sie schaffen vieles, was andere Medien nicht leisten können. 954 Künstlerbücher trugen in den letzten 40 Jahren der Kölner Grafiker Steffen Missmahl und seine Frau Edith zusammen, eine grandiose Zusammenstellung von Artefakten, die auf nichts verweisen, nichts dokumentieren, sondern autonome Werke sind und das Denken auf besondere Weise erlebbar gestalten. 101 Exemplare aus der Kollektion, die das Sammlerpaar Kolumba vermacht hat, gestatten einen verdichteten Gang durch eine Epoche, deren Facettenreichtum von Carl Andre, Joseph Beuys, Marcel Broodthaers, Daniel Buren, James Lee Byars, John Cage und Hans-Peter Feldmann bis zu Richard Tuttle, Wolf Vostell, Franz Erhard Walther, Andy Warhol, Lawrence Weiner und Beat Zoderer reicht. Im obersten Geschoss empfängt die um 1650 von Jeremias Geisselbrunn geschaffene Alabasterfigur der Muttergottes mit Kind den Besucher. Dies geschieht vor dem Hintergrund von Birgit Antonis großformatigen Acrylmalereien auditiver Reihungen, die Bildräume von hoher Dynamik als Ausschnitte abstrakter Volumina suggerieren und in ihren Wirbeln Elemente der vorgestellten barocken Plastik aufnehmen. 45 Schreibmaschinen aus rund 100 Jahren deuten, verschiedenartig auf einem geschwungen zugeschnittenen Unterbau angeordnet, neben der Wandlung von Technik und Design auch die Eigendynamik bürokratischer Auswüchse an. Die erbarmungslose, überdrehte Macht kalter Maschinenwelten umkreist auch das aus dem Jahr 1959 stammende Ölgemälde „Der Wille zur Macht“ von Konrad Klapheck, das eines der voran im Original ausgestellten Modelle interpretiert. Im zentralen Mittelsaal bietet sich dann ein grandioser Auftritt seines 2005 verstorbenen Düsseldorfer Akademiekollegen Dieter Krieg. Großformatig mit weit ausholenden, wilden Gesten stellt der Maler 1998 fest: „In der Leere ist ist nichts“. Kombiniert mit Acrylglas auf Leinwand akzentuieren türkisfarben abgetönte, leere Gläser den Hintergrund von den krakelig aufgetragenen schwarzen Buchstaben des Bildtitels. Sowohl die teils über die Bildformate hinausgeführten Scheiben, die wirren Linien als auch die Spiegelungen der Arbeiten in Decke und Boden lassen den Betrachter zwischen der Realität des Raumes und der des Bildes pendeln. Grammatische Fragwürdigkeiten, Worttrennungen, Undeutlichkeiten verhindern schnelles Lesen und Begreifen. So setzt unweigerlich das Denken über die fallenden Gläser und realen Glasfragmente ein, über Schönes und Unschönes, über Unfügsames und Gestaltetes. Was ist nichts? Was ist Leere? Dieses Spektrum an Fragen überführt von dem wie für den Raum geschaffenen Zyklus in die drei umliegenden Turmsäle. Vorbei an der in situ fest verorteten „Bürgerlichen Tragödie“ von Jannis Kounellis, der kontemplatives Denken zugrunde liegt, läuft man direkt auf Rune Mields Bild „Blau“ aus dem Zyklus „Über die Farbe“ zu. Auf blauem Hintergrund hat sie 249 Arten von Blautönen gelistet. Für den Raum einer privaten Andacht über die Vergänglichkeit, über Leben und Tod steuert Krimhild Becker eine Installation aus menschlichen und animalischen Artefakten bei. Den Ostturm möchten die Kuratoren diesmal als poetischen Hinweis auf die Welt der Phantasie und auf die künstlerische Fähigkeit, dem Unvorstellbaren Raum zu geben, gestaltet wissen. Ein imposant aufbäumendes Gebilde aus Schichtholzplatten, Zedernhölzern, Stahlstangen und eisernen Trägerplatten kombinierte Victoria Bell zu einer „Fliegenden Lokomotive“. Flugzeuge und Lokomotiven verwachsen zu einen Dickicht, eine Warnung vor der Hybris des Machbaren, ein Appell zur Bewahrung der Schöpfung und zum Ausgleich. Die organischen Formen der zwischen Vorstellung und Wirklichkeit oszillierenden Arbeit finden sich auch in Konrad Klaphecks Gemälde „Kleines Liebesglück“. Den wuchshaften Sujets des 1959 entstandenen Ölbildes in dunkel abgetönten Farben liegen Fahrradklingeln zugrunde. Der Parcours zum höchsten Turm des Museums führt an von Zartheit und Sensibilität nur so sprühenden aquarellierten Bleistiftzeichnungen zu Kolumba des Architekten Peter Zumthor vorbei. Vor dem berühmten, 1449 in Nürnberg geschaffenen Heilig-Geist-Retabel, dessen Mittelbild die Versammlung der Apostel mit der Muttergottes in ihrer Mitte zu Pfingsten darstellt, findet sich nun die Ton-Raum-Skulptur von Bernhard Leitner. Sie bietet über Klänge ein Erlebnis, dem ebenfalls mit Worten nicht beizukommen ist. Hier am höchsten Punkt des Hauses gibt sich die sinnliche Ausstellung ins Extreme gesteigert, bedingt durch die auf Augenhöhe arrangierten Begegnungen zeit- und medienübergreifender Exponate. Dabei muss man nicht alles definitiv auslegen können. Denn einer, der alles erklären kann, erklärt selbst nichts. Die Ausstellung „denken“ ist bis zum 31. August 2012 zu besichtigen. Kolumba, das Kunstmuseum des Erzbistums Köln, hat täglich außer dienstags von 12 bis 17 Uhr, donnerstags bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 5 Euro, ermäßigt 3 Euro. Zur Ausstellung sind zwei Kataloge erschienen. Der umgangreiche Katalog „denken“ zu den Künstlerbüchern der Sammlung Missmahl kostet an der Museumskasse 35 Euro, zum Blockbuch „Ars memorandi“ 16 Euro.« (Hans Peter Schwanke, Denken im Museum der Nachdenklichkeit, www.kunstmarkt.com, 14.10.2011)

»Auf welch eindringliche Weise Geschehnisse künstlerisch umkreist werden können, demonstriert Herbert Falken in seinem frühen, auf der Documenta VI ausgestellten Werkzyklus „Krankenbilder“. Den sogenannten „guten Geschmack“ verlassend, konfrontiert er den Betrachter schonungslos mit jämmerlichen Kranken, deren Individualität sich in wirren, die seelenlose Behandlungsmaschinerie der modernen Medizin versinnbildlichenden Zeichenstrichen auflöst. Drei Ölgemälde des Spaniers Antonio Saura oszillieren zwischen Abstraktion und menschlicher Figur in heftig expressivem, gespenstisch anmutendem Duktus. Danach betritt man das vollkommen abgedunkelte Armarium als architektonisch-geistige Zelle des Museums. Hier über der Kapelle „Maria in den Trümmern“ sind dauerhaft Hauptwerke des bedeutenden mittelalterlichen Kirchenschatzes von Kolumba ausgestellt. Neben einem Kruzifixus aus den großherzoglichen Werkstätten der Medici aus dem 17. Jahrhundert, dessen Elfenbeinkorpus Balthasar Permoser schuf, verdient besonders der vom „Kölner Progressiven“ Franz Wilhelm Seiwert um 1920 gebrannte Tonkopf Beachtung. „Großer Kopf mit offenem Mund“, so der Titel der expressionistischen Skulptur, illustriert einen selten so eindringlich zum Ausdruck gebrachten stummen Schrei des Entsetzens. James Lee Byars, der Meister des Ephemeren, der am 25. Oktober 1996 in einem goldflirrenden Gewand vor dem Hauptportal des Kölner Domes erschien, bereichert das Ensemble im Armarium mit Fotografien und einem Künstlerbuch. Die Terrakotta „Sitzende mit weißem Rock“ der in Köln lebenden Leiko Ikemura umkreist wie auch im weiteren Verlauf noch von ihr anzutreffende Zeichnungen und Skulpturen die Verletzlichkeit des Individuums in scheinbar unvereinbaren Gefügen menschlichen Miteinanders. Ein Feld hochrechteckiger Vitrinen vor dem Ruheraum des Lesezimmers lädt zu Begegnungen mit kunstgewerblichen Zier- und Zeremoniengegenständen ein, darunter einem wundervollen Ensemble silberner Reliquienmonstranzen des 14. und 17. Jahrhunderts. Vorbei an einem archaisch anmutenden Relief von Hans Josephsohn führt der Parcours genau zwischen die Wände einer Klanginstallation von Bernhard Leitner. Erst hier nimmt man die Geräusche der „Pulsierenden Stille“ des äußerlich stummen, minimalistischen Gestells aus dem Jahr 2007 wahr. Im rückwärtigen Winkel der oberen Ausstellungsplattform behauptet eines der Hauptwerke weiterhin seinen angestammten Platz, das monumentale Marienbild „Madonna mit dem Veilchen“ von Stefan Lochner. Zu Füßen der Muttergottes im Paradiesgarten kniet die Auftraggeberin Elisabeth von Reichenstein, Äbtissin des Kölner Cäcilienstifts. Dieses kurz vor 1450 entstandene Prunkstück der 1853 etablierten Museumskollektion hängt neben einem raumhohen „Broschenfenster“, das den direkten Bezug zum gotischen Dombau ermöglicht. Auch Jannis Kounellis „Tragedia civile“, eine blattvergoldete Wand mit Garderobenständer, Hut, Mantel und Öllampe ist im Nordkabinett in situ verblieben. Davor liegt nun der erstmals ausgestellte „Fishman“ des Amerikaners Paul Thek, dessen Œuvre ein Sammlungsschwerpunkt von Kolumba ist. Besonders diese Skulptur verdeutlicht das transitorische Verständnis von Theks politisch, sozial und religiös motivierter Kunst. Nebenan im Nordturm gruppiert sich nun die raumgreifende „Wunderkammer“ von Krimhild Becker. Über viele Jahre hinweg fügte die Bonner Künstlerin Dinge aus aller Welt zu einem Ensemble zusammen. Objekte aus unterschiedlichen Kulturen, Natur und Kunst, Ernstes und Heiteres, Kitsch und Hochwertiges zeigen sich vereint, umspielen variantenreich Leben und Tod. Es ist ein skurriler Raum der Phantasie, angelegt ähnlich einem Landschaftsgarten mit einem scheinbar disparatern Sammelsurium, geformt zu einem ästhetischen Miteinander. Im Ostkabinett beeindrucken große, rot getönte Fotografien Jürgen Klaukes durch ihre unmittelbare Präsenz. „Der Bildhauerberg“ von Heinz Breloh gegenüber vereint über 150 kleine, glasierte Terrakotten, womit er quasi die Körper- in eine Lichtskulptur auflöst und somit formal entgrenzt. Im Ostturm nebenan hängt ideal disponiert gegenüber dem hoch angesetzten Fenster eine stille Arbeit von Joseph Marioni, „Painting (Triptych)“ aus dem Jahr 1995. Das Werk aus Acryl auf Leinen entfaltet je nach Lichteinfall, Tages- und Jahreszeit völlig divergente Schemen, konfrontiert gegenüber mit einem um 1480 auf Holz gemalten Schmerzensmann. Dann bleibt noch das schmale Südkabinett. Erstmals sind hier Gewand-, Hand- und Aktstudien einiger Nazarener der zweiten Generation aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgestellt, die ihre Ausbildung bei Wilhelm von Schadow an der Düsseldorfer Kunstakademie erhielten. Die Studien zu Gemälden und Wandgestaltungen stammen von Ernst Deger, Franz Ittenbach sowie die Brüder Carl Müller und Andreas Müller. An der Grenze zum abschließenden Südturm stimmt aus dem Kirchenschatz von Kolumba eine um 1500 geschaffene gotische Turmmonstranz auf den Heilig-Geist-Altar ein. Vor dem kraftvoll leitenden, jedoch niemals beherrschenden Hintergrund der neutralen Architektur offenbart ein mediales wie zeitliches Gemenge verschiedenster Kunstwerke zahlreiche zum Teil verblüffende Schnittstellen. Viele Facetten ansprechend, bietet Kolumba ein Angebot zum Innehalten, Nachdenken und Reflektieren über aktuelle Aspekte der Kunst, der Religion und des gesellschaftlichen Miteinanders. Konzentriert, an keiner Stelle ausufernd, wird allen, die sich auf die hochrangigen Artefakte einlassen, ein erhellendes Kunsterlebnis abseits jedweder effekthascherischer Pirouetten zuteil. Die neue Ausstellung in Kolumba markiert einen Ort der Freiheit von Vorstellungen, des ungezwungenen Gesprächs, der heilsamen Macht der Schöpfung. Hier erwartet man uns längst.« (Hans-Peter Schwanke, Auf Abstand bedachte Begegnungen, in: www.kunstmarkt.com, 19.10.2010)

»Museen sind Zeugen der Geschichte. Dreieinhalbtausend Jahre lassen sich anhand von Funden vor Ort zurückverfolgen, an dem Kolumba steht. Der aus archäologischen Grabungen samt Ruinen emporwachsende Museumsbau der Kölner Erzdiözese stellt ein einzigartiges Erbe der Kulturgeschichte dar. So fiel es dem Museumsteam in Köln leicht, für die dritte Jahresausstellung die griffige Überschrift 'Hinterlassenschaft' zu finden. … Kolumba ist keine schrill dröhnende Museumsmaschine. Das Institut setzt hochklassige Akzente in der ihm eigenen Weise. Hier bieten sich dem einfühlsamen Kunstinteressierten poetische Räume der Reflexion vor dem Hintergrund der passenden minimalistischen Architektur Peter Zumthors. Jahr für Jahr inszeniert es in immer neuen Konstellationen epochenübergreifende Kunsterfahrungen und einprägsame Diskurse abseits effekthascherischer Aktivitäten. Dafür sei Kolumba gedankt. Da Führungen nur außerhalb der regulären Öffnungszeiten stattfinden, werden Ruhe und Konzentration nicht gestört. Über 100.000 Besucher pro Jahr sind ein eindrucksvoller Beweis für dieses Konzept.« (Hans-Peter Schwanke,Was so alles zurückbleibt, kunstmarkt.com, 26.10.2009)

»Das Salz in der Suppe des Museumswesens sind viele nicht staatliche Ausstellungshäuser. Dem allgemein gültigen breiten Strom wissenschaftlich-populistischer Präsentationen entrückt, bieten die unabhängigen Institutionen andere, oft unkonventionelle Arten der Kunsterfahrung. Auch in Kolumba, dem Kunstmuseum des Erzbistums Köln, mutet vieles eigentümlich an. Doch seit vor genau einem Jahr der neue, von Peter Zumthor entworfene Bau seine Tore öffnete, zollten dem Institut über 150.000 Besucher ihre Referenz, eine eindrucksvolle Zahl für ein kleineres Spezialmuseum, die keineswegs ausschließlich der eindrucksvollen minimalistischen Architektur geschuldet sein dürfte. Doch was ist hier anders? Zunächst einmal handelt es sich um ein Tageslichtmuseum, in dem gleißend helle, von wandgroßen Verglasungen gekennzeichnete Zonen mit introvertierten Schattenbereichen alternieren. Beschriftungen sucht man vergebens. Statt ihrer vermittelt ein kleines Heft die nötigen Informationen. Führungen gibt es ausschließlich außerhalb der regulären Öffnungszeiten. Ohne Störungen soll sich der Besucher ganz den Sinnlichkeiten der Werke hingeben. Das dialogische Konzept scheint den Initiatoren Recht zu geben, wofür die überwiegend lange Verweildauer der Gäste vor den Exponaten Zeugnis ablegt. Die karge Architektur unterstützt die Konzentration; Stufen und Schwellen befördern umsichtiges Abschreiten der einzelnen Zonen. Werkkonstellationen sollen nicht konsumiert, sondern in Erinnerung behalten werden. Aufmerksamkeit erhaschende Ausstellungen sucht man hier vergebens. An ihrer Stelle tritt der alljährliche Hauptwechsel zum 14. September, dem Tag der Kreuzerhöhung. Kein Raum im Haus ist für ein bestimmtes Exponat geplant, so dass jedes Jahr während der Schließzeit in den ersten beiden Septemberwochen alles neu gestaltet werden kann. Dieses Mal wurden 90 Prozent der Werke ersetzt, allesamt aus eigenen Beständen. Maßgeblich für die neue Auswahl war der Titel „Der Mensch verlässt die Erde“. Er leitet sich ab von der Bezeichnung eines dreiteiligen Gemälde Felix Droeses. Das Kosmische, die Schöpfung, die Verantwortung des Menschen für den Umgang damit skizzieren den Spannungsbogen der zeit- wie gattungsübergreifenden Zusammenstellung von mittelalterlichen Stundenbüchern über Skulpturen, Gemälden, Zeichnungen, kunstgewerblichen Gegenständen, Installationen bis hin zu Videos. Zu den Höhepunkten zählt nun die raumgreifende installative Komposition einer „Kugelbahn“ des Kölner Künstlers Manos Tsangaris. Der Besucher wird aufgefordert, sich auf einen Holzstuhl im Zentrum zu setzen. Um ihn herum rollen auf einem Gewirr von diversen Bahnen drei Kugeln, deren teils von ihm gestarteten Rollbewegungen Klänge erzeugen, die zusammen ein Musikstück erzeugen. Der Hörer, Zuschauer, Performer wird selbst Teil eines Kunst und Klangkosmos. Marcel Odenbach entführt an anderer Stelle mit der zweiteiligen Videoarbeit „In stillen Teichen lauern Krokodile“ ins afrikanische Ruanda, wo jüngst in einem unfassbaren, dramatischen Genozid drei Viertel der Hutu-Volksgruppe ausgelöscht wurde. Dokumente aus dem UNO-Filmarchiv stellt Odenbach die paradiesische Schönheit des Landes, die archaische Lebens- und Arbeitssituation der Bevölkerung und das fragile Zusammenleben von Tätern und Opfern gegenüber – eine biblische Schönheit durchsickert von maßloser Gewalt. Sinniger Weise sind dieser Arbeit historische Radio- und Fernsehgeräte zur Seite gestellt, darunter ein „Volksempfänger“ aus dem Jahr 1933 sowie ein Kofferradio und ein Fernsehgerät aus der Zeit um 1970. Im obersten Geschoss wartet als weiterer Höhepunkt eine romanische Fußbodengestaltung der Kirche in Oberpleis. Mensch, Zeit, Welt und Kosmos werden in dem seit 1975 erstmals wieder ausgestellten Werk über kreisförmige Demonstrationsfiguren in Beziehung gesetzt. Darüber schwebt Paul Theks Materialassemblage „Fishman in Excelsis Table“ von 1970/71. Gleich nebenan umkreisen im hohen Ostturm Pappmachéfiguren eines Mobiles von Michael Kalmbach die Welt. Es stellt die Fortschreibung einer Raumsimulation dar, die Rebecca Horns aufsteigender Koffer an dieser Stelle zuvor beschrieb. Unten an den Wänden findet sich der Hinterglasgemäldezyklus „Smog“ von Werner Schriefers. Der ehemalige Direktor der Kölner Werkschule beschrieb schon 1969/71 seine Kritik an den ökologischen Zuständen in eigener Ästhetik, die hinter schwefeligen Grauschleiern aufkeimendes Leben verbirgt. Die konzentrierte Auswahl provoziert ein Nachdenken weit über die Zeit des Museumsbesuches hinaus; Räume bleiben stärker im Gedächtnis haften als bei überfüllten diffusen Menschenmassen. So fallen dem aufmerksamen Kunstfreund auch Beständigkeiten auf. Stefan Lochners vor 1450 geschaffene „Madonna mit dem Veilchen“ ziert ebenso nach wie vor den Kollektion wie Jannis Kounellis’ „Bürgerliche Tragödie“ aus einer Blattgoldwand, einem Garderobenständer mit Mantel, Hut und Öllampe, ferner Eduardo Chillidas bedruckte Filzstücke „Gravitaciónes“ oder die wunderbaren gotischen Reliquienkreuze aus dem Schatz des sächsischen Königshauses im Südturm. Erfreulich ist die wohltuende Lichtung des Kirchenschatzes von St. Kolumba im vollständig abgedunkelten Armarium, wo in gleißenden Spots getauchte gotische Turmmonstranzen die grandiose Überfülle an vergoldeten Details, Perlen und Edelsteinen und damit die ganze Pracht des mittelalterlichen Kunsthandwerks offenbaren. Lediglich in einem Durchgangsraum werden vierteljährlich wechselnde zeitgenössische Positionen unter dem Titel „…im Fenster“ vorgestellt. Den Anfang bestreitet der 1958 geborene Kölner Maler Heiner Binding.« (Hans-Peter Schwanke, Um die Welt kreisen, in: www.kunstmarkt com, 10.10.2008)